zuhören und befragen: Displaced Persons 1946 in Interviews mit David P. Boder

Boders Drahtspulen: Die erste systematische Interviewsammlung zum Holocaust

David P. Boders wire spool-Interviews aus dem Sommer 1946 bilden heute die erste systematische Sammlung von Audio-Interviews mit Überlebenden des Holocaust und anderen Verfolgten des Nationalsozialismus. Diese Sammlung wird zwar international seit 15 Jahren von Literatur-, Kultur- und Geschichtswissenschaft beforscht und mit dem Chicagoer Portal "Voices of the Holocaust" stehen auch die meisten von Boders Aufzeichnungen bereits online zur Verfügung.


Doch über die hochspezialisierte Holocaust-Forschung hinaus sind die Interviews in ihrem Wert und Potentialen für Aufklärung und Bildung noch weitgehend verkannt. Als historische Dokumente und ästhetische Artefakte bleiben sie herausfordernd für Quellenkritik, Analyse und Repräsentation in analogen wie digitalen Medien.

Das Ziel: ein Forschungs- und Bildungsportal

Unser Projekt zielt langfristig auf ein online-Portal, dass sich auf eine Auswahl von etwa 30 Audio-Interviews des Chicagoer Psychologen David P. Boder mit Displaced Persons aus dem Jahr 1946 konzentriert. Diese Interviews sollen wissenschaftlich ediert und neu übersetzt und - als sukzessive Aufgabe - mit interdisziplinären Kommentaren für die historisch-politische Bildung erschlossen werden.

Kooperationen:

Das etablierte internationale Netzwerk umfasst Kooperationen mit dem Illinois Institute of Technology (IIT) Chicago, der Library of Congress, Washington, D.C., dem US Holocaust Memorial and Museum, Washington, D.C. sowie der USC Shoah Foundation in Los Angeles. Unsere weiteren Partner in der Forschung sind Yad Vashem, die Leo Baeck-Institute in Jerusalem und New York, das YIVO New York, das Ghetto Fighter House in Israel, die Special Collection der UCLA, das ITS Bad Arolsen und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Unsere bisherigen Bildungspartner sind die Bundeszentrale für Politische Bildung und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Seit 2016 erhielten wir temporäre Förderungen von folgenden Institutionen: Bundeszentrale für Politische Bildung, DFG, Fritz Thyssen Stiftung, Europäisches Kolleg Jena „Das 20. Jahrhundert und seine Repräsentationen“, Philosophische Fakultät der FSU Jena, Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

Konzept und Projektleitung: Dr. Axel Doßmann

Was bislang erarbeitet wurde

2015 haben wir begonnen, die rechtlichen und technischen Grundlagen für das Portal zu erarbeiten. Vor allem aber galt es, mit Bezug auf die internationale Forschung zahlreiche Recherchen zu Boders Interviewprojekt und seinen Interviewpartner*innen voranzubringen. Ein Schwerpunkt bilden vertiefende biografische Forschung zu einzelnen Interviewten, insbesondere deren Leben nach 1946.

Der Jenaer Historiker Daniel Schuch hat als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Kolleg Jena „Das 20. Jahrhundert und seine Repräsentationen“ von 2016 bis 2020 seine Promotionsarbeit erarbeitet, die Ende 2021 uner dem Titel „Transformationen der Zeugenschaft. Von David P. Boders frühen Audiointerviews zur Wiederbefragung als Holocaust Testimony" im Wallstein Verlag publiziert wurde.


2017 und 2018 konnte Axel Doßmann mit Förderung von DFG und Fritz Thyssen Stiftung insgesamt fast vier Monate in Israel und in den USA recherchieren, Kontakte zu noch lebenden Zeuginnen und Zeugen sowie deren Nachfahren aufbauen und das internationale Netzwerk ausbauen. 

Darüber hinaus entstanden aus Axel Doßmanns Lehrveranstaltungen zu Boders Feldforschung eine Staatsexamensarbeit und zwei Masterarbeiten: von Elisabeth Wehrmann, Sinja Gerdes und Theresa Kühnert. Sie widmen sich didaktischen Zugriffen auf die Sammlung, analysieren Zukunfterwartungen der DPs im Jahr 1946 und untersuchen Aspekte von Flucht, Migration und Staatenlosigkeit in Boders Interviews.

Neue Transkripte
2018 hat uns das Illinois Institute of Technology Chicago die Mitnutzungsrechte für Forschungs- und Bildungszwecke für 33 ausgewählte Boder-Interviews gewährt. Dank dem Engagement von Studierenden, dem Lehrstuhl und der Unterstützung der Philosophischen Fakultät haben wir neue, an eigenen editorischen Ansprüchen orientierte Transkripte für bislang 12 von Boders Interviews erstellt. Für Jiddisch, Polnisch, Russisch, Französisch und Ladino steht die Transkriptionsarbeit noch aus.

Weblog „Fragen an Displaced Persons: 1946 und heute“

Im Jahr 2021 haben wir an der Uni Jena einen Weblog unter dem Titel "Fragen an Displaced Persons: 1946 und heute" gestartet. Hier werden Befunde und Fragen aus der aktuellen Forschung zu Boders DP-Interviews und unsere Rekonstruktionsversuche zum Leben der DPs nach 1946 versammelt. Das Weblog soll Boders Interviews vor allem in Deutschland bekannter machen und zugleich das künftige Forschungs- und Bildungsportal weiter vorbereiten helfen.

Die redaktionelle Arbeit für den Blog durch die Historikerin Lisa Schank wurde zwischen September 2020 und März 2021 mit einer Modellförderung der Bundeszentrale für Politische Bildung gefördert. Dieses Projekt realisieren wir in Kooperation mit Prof. Dr. Anke John, Professorin für Geschichtedidaktik in Jena. Die gestalterisch-technische Einrichtung des Blogs wird vom Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora gestellt.

Tagungen, Workshops, Vorträge seit 2016

Workshops
• Boders Interviews, die Sprachwissenschaften und das Clarin-D-Programm des BMBF zur langfristigen Archivierung relevanter Forschungsdaten, Universität Hamburg, 3. Dezember 2018

• „hören und begreifen. David P. Boders Interviews mit Überlebenden des KZ Buchenwald im Sommer 1946“, Gedenkstätte Buchenwald, 12. Februar 2017
Programm als PDF

• Axel Doßmann: Workshop zu Boders Interviews im Master-Seminar „Geschichte und Erinnerung“ des Historischen Seminars der Universität Zürich, 30. November 2016

• Interdisziplinärer Workshop „70 Jahre nach David P. Boders Interviews: Erfahrungen nationalsozialistischer Verfolgung begreifbar machen“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Juni 2016
Konzept und Programm auf H-Soz-Kult lesen


Vorträge

• Daniel Schuch: "A man-made holocaust": David P. Boder’s 1946 Audio Recordings as Pioneering Research on Trauma, Vortrag auf der Simon Wiesenthal Conference Survivors' Toil. the First Decade of Documenting and Studying the Holocaust, Vienna Wiesenthal Institute for Holocaust Studies, 02. November 2022

• Daniel Schuch: David P. Boder and the Transformations of Holocaust Testimony, Vortrag im Kolloquium des Imre Kertész Kollegs Jena, 3. Februar 2020

• Panel auf der internatioanlen Konferenz Lessons and Legacies of the Holocaust: The Holocaust and Europe unter dem Titel "David P. Boder’s Interviews Revisited – Historical Reconsiderations and Educational Challenges in the Digital Age", München, 4. bis 7. November 2019:

  • Daniel Schuch (Jena): “Not the Scum of Humanity. A Comparison of David P. Boder’s Early Investigation on Trauma in Postwar Europe to Later Holocaust Testimony”
  • Dennis Bock (Hamburg): “Between Holocaust History and Narrativization”
  • Michael Becker (Jena): “Social Sciences and Concentration Camp Experience: David P. Boder in the Context of Early Concentration Camp Research”
  • Axel Doßmann (Jena): “Questions for Displaced Persons, 1946 and Today – Toward a New Online Resource”

Tagungsbericht auf H-Soz-Kult lesen

• Axel Doßmann: “Displaced Persons zuhören. Die Interviews von David P. Boder aus dem Jahr 1946“, Vortrag am Bildungszentrum der Gedenkstätte Dachau, 4. Juni 2019

• Axel Doßmann: “David P. Boder´s Interviews with European DPs in 1946. Reflections on a Pioneering Field Research and Collection”, Vortrag im Oral History Colloquium des Leo Baeck Institute Jerusalem, 23. Mai 2019

• Axel Doßmann: "Testifying Outside the Courtroom – Accusation, Revenge and Reflections on Mankind by European DPs in David P. Boder´s Interviews from 1946“, Vortrag für die Tagung “Juridical Testimonies after 1945 – Expectations, Contexts and Comparisms”, Leibniz Institute for Jewish History and Culture, Leipzig 8./9. April 2019

• Axel Doßmann: „Materialität, Ethik und die Zukunft der Vergangenheit. Was lässt sich heute an Interviews von David P. Boder mit Displaced Persons aus dem Jahr 1946 begreifbar machen?“, Vortrag am Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main, 30. Januar 2018

• Daniel Schuch: “Transformations of Testimony: Speaking about Buchenwald one Year and 50 Years after the Liberation”, Vortrag auf der internationalen Tagung “Beyond Camps and Forced Labour”, London, 10.-12. Januar 2018

• Daniel Schuch: “Remembering Buchenwald? Considerations about the Transformations of Holocaust Testimony”, Vortrag auf dem Workshop “The History and Memory of National Socialist Camps and Extermination Sites”, Budapest, 16.-22. Oktober 2017

• Daniel Schuch: "I had hoped my father had survived incognito“. Wandel durch Wiedererzählen in den Interviews mit Gert Silver alias Gert Silberbard, Vortrag an der Gedenkstätte Buchenwald, 12. Februar 2017

• Axel Doßmann: „Den Einzelnen Gehör geben. David P. Boders Interviews mit Displaced Persons aus dem Jahr 1946", Vortrag im Zeitgeschichtliches Kolloquium des Historischen Instituts der FSU Jena, 2. November 2016

• Axel Doßmann: “David P. Boder's challenging heritage: How to make somebody understand by listening to audiotaped testimonies from 1946?”, Vortrag auf der Konferenz “The Future of Holocaust Testimonies IV” in Akko/Israel, 9. März 2016 Video auf youtube sehen

Publikationen

• Axel Doßmann, Lisa Schank, "Für die gesamte Menschheit": Eine digitale Werkstatt für David P. Boders Interviews mit Displaced Persons aus dem Sommer 1946, in: MEDAON - Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 16:31 (2022), URL: https://www.medaon.de/pdf/medaon_31_dossmann_schank.pdf


• Daniel Schuch, Recounting Buchenwald. Three Interviews with one Survivor over 50 Years, in: Janine Fubel et al. (eds.), Practices of Memory and Knowledge Production: Papers from the 22nd Workshop on the History and Memory of National Socialist Camps and Extermination Sites, Berlin 2022, S. 266-290.


• Daniel Schuch, Transformationen der Zeugenschaft. Von David P. Boders frühen audiointerviews zur Wiederbefragung als Holocaust Testimony, Göttingen 2021.


• Axel Doßmann, Überforderderte Zeugenschaft. Holocaust-Interviews in der Geschichtskultur und historischen Bildung, in: Volkhard Knigge (Hg.), Jenseits der Erinnerung - Verbrechensgeschichte begreifen, Göttingen 2022, S. 234-258.


• Axel Doßmann, Auf der Suche nach der verlorenen Materialität. Recherchen zu David P.Boders Interviews mit Displaced Persons im Sommer 1946, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 31 (2020), Heft 2 („Verstörte Sinne“), S. 121-127.


• Daniel Schuch, Konflikthafte Zeugenschaft. David P. Boders Audio-Interviews im Nachkriegseuropa, in: Mimeo. Blog der Doktorandinnen und Doktoranden am Dubnow-Institut (Juli 2020)